15.02.15
15 - Vom Halbieren und Verdoppeln – Farang meets Thai
Ein nie versiegendes Gesprächsthema unter Farangs ist die Frage, warum Thais so sind, wie sie sind. Die Männer erleben häufig Ent-Täuschungen mit Thai-Frauen, von denen sie sich finanziell ausgenutzt fühlen, diejenigen Farangs, die Thais beschäftigen, klagen über deren Unzuverlässigkeit – um nur einen Hauptpunkt zu nennen. Als jemand, der psychoanalytisch denkt, fühle ich mich da jedes Mal herausgefordert. Folgendes ist mir dazu eingefallen, wobei es eher skizzenhafte, erste Überlegungen sind.
Europa hat eine Kultur des Individualismus. Keimzelle der Gesellschaft ist das Individuum. Sehr viele Begriffe – Ehrgeiz, Verantwortung, Zuverlässigkeit – setzen ein Ich voraus, das von sich selber ein Bild der Entwicklung hat, ein Ich, das etwas werden will, das sich Ziele setzt. Psychoanalytisch kann man sagen, dass zum Individuum europäischer Prägung immer auch ein Ideal-Ich oder Selbstideal gehört. Thailand (ich weiß nicht, wie es in anderen asiatischen Staaten ist) hat eine Kultur des Gemeinwesens; der Einzelne begreift sich als Teil seiner Gruppe und findet darin seine Identität, er will nichts mehr werden, sein Trachten geht einzig darauf, seinen Platz in der Gruppe gut auszufüllen. So klagen die Farangs über die Thais, sie wollten nicht lernen, hätten keinen Willen, wüssten nicht, was sie wollen, hätten keine Ordnung. Aber sie legen damit einen europäischen Maßstab an, der hier überhaupt nicht passt.
Ein Alltagsbeispiel zum Thema Ordnung: Der thailändische Mitbenutzer der Küche stellt das, was er gebraucht hat, überall ab und wundert sich überhaupt nicht, dass z. B. der Kaffee morgens immer an derselben Stelle zu finden ist. Wenn die Dose mit dem löslichen Kaffee da nicht wäre, auch nicht schlimm, dann würde er sie eben suchen gehen. Thais halten es für normal, dass man Dinge suchen muss, täglich, man hat ja Zeit: Die Schlüssel, das Portemonnaie, die Einkäufe vom Vortag, das Handy – das vor allem. Ein Problem entsteht erst, wenn ein Farang dazukommt, der pünktlich das Haus verlassen will. So wird hier unter Farangs bei der Festsetzung von Terminen oft hinzugefügt: Farang-Zeit, bitte, nicht Thaizeit.
Ein anderes Alltagsbeispiel zum Thema lernen. Ein junger Mann vom Service in einem Restaurant beklagt sich, dass er so viel laufen muss. Sein deutscher Chef schlägt ihm vor, er solle doch einfach, wenn er serviert hat, auf dem Rückweg gleich gebrauchtes Geschirr mitnehmen, das würde seine Laufwege halbieren und ihm seine Arbeit erleichtern. Der Chef hätte sich diesen Vorschlag sparen können, denn schon der Ansatz ist so europäisch, dass der junge Thai ihn nicht versteht. Es ist nicht nämlich nicht seine Arbeit, für die er etwa verantwortlich ist, sondern es ist einfach Arbeit, und Arbeit ist immer etwas Mühseliges, das kein Sanuck (Spass) bringt, und er wird doch nicht so blöd sein und sie noch verdoppeln, indem er statt mit leeren Händen mit vollen zurück zur Küche geht.
Das Prinzip der Effektivität, das Wirtschaft und Politik in allen wettbewerbsorientierten Ländern beherrscht, bleibt da natürlich auf der Strecke. Es gibt hier viele Stimmen, sogar aus dem königlichen Umfeld, die sich Sorgen machen, ob Thailand nicht die Zeichen der Zeit verschläft. Das Schulsystem ist veraltet. Mehrfach haben mir Bekannte, die in Thailand leben, von eine Reise nach Malaysia berichtet: wie gut die Schul-Ausbildung sei, selbst die einfachsten Leute sprächen gut Englisch (wovon in Thailand keine Rede sein kann) und wie sauber und hübsch dort alles sei.
Dies sind nur ein paar subjektive Beobachtungen. Die Zusammenhänge sind wahrscheinlich viel komplizierter. Ich werde sie – auch jetzt, wo mein Buch fertig ist, und ich mehr Zeit habe – nicht mehr durchdringen. Ich bin manchmal schon in Gedanken beim Kofferpacken. Zwei ganze Wochen liegen nur noch vor mir. Es wird mir schwer fallen, in den Bus zu steigen, der mich nach Bangkok zum Flughafen bringt. Noch kann ich mir nicht vorstellen, dass ich wieder Strümpfe anziehen muss.
Bestellt mir bitte Frühling, wenn ich komme.
Herzliche Grüße und gute Wünsche an alle.
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